gesendet am 28. Oktober 2002 zwischen 17.00 und 17.30
„Karl Rusche, Gero Troike
10 Tage 2 Maler”
26. Oktober bis 4. November 2002
Es hat seinen besonderen Reiz Werke bildender Künstler in Interims – Ausstellungen zu sehen, also nicht auf der perfekt für den Verkauf arrangierten Galerie-Ebene.
Am Wochenende öffneten die Maler Karl Rusche und Gero Troike eine nämliche Ausstellung, fernab der Berliner Galerien-Szene im ehemaligen Industriegebiet von Berlin Ober-Schöneweide. Dort standen Ihnen gut 450qm in nicht genutzten Geschäftsräumen unweit der Stubenrauchbrücke in der Siemensstraße 14-15 zur Verfügung. Christoph Tannert nutzte die Gelegenheit den nur für 10 Tage zu beobachtenden Dialog der Künstler zu verfolgen.
Wen die aktuelle Kunstszene langweilt, wer genug hat von den vermeintlichen Provokationen der Schmuddelkinder oder den plappernden Heuchlern auf den Staatskunstbanketten, ganz zu schweigen von den gradlinigen Steißtrommlern, die einem mit ihrer verdorrten, unfrohen politischen Korrektheit den Nerv töten, für den gibt es nun wenige Tage lang Entwarnung. Denn, weit weg vom Schuss, draußen in den Berliner Industrie-Arealen von Ober-Schöneweide, haben zwei Künstler der reiferen Generation in einem Interims-Quartier eine Werkraum-Präsentation in Szene gesetzt, die, ja es ist nicht übertrieben zu sagen, die Wiedergeburt des Sensualismus aus dem Geist des späten 19. Jahrhundert feiert.
Gero Troike, Jahrgang 1945, in Berlin bekannt geworden durch seine legendären Bühnenbilder und Kostüme für Inszenierungen an der Volksbühne und am Deutschen Theater, und Karl Rusche, Jahrgang 1961, in Soest geboren, und ein Vertreter der für die westeuropäische Postmoderne eher untypischen idealistischen Ästhetik, stellen zusammen aus. Das haben sie sich lange vorgenommen. Nun endlich gab es in Berlin ein räumliches Angebot dafür, ohne dass es dabei, wie Karl Rusche betont, um kommerzielle Aspekte gegangen wäre. Was für eine Ausnahmesituation!
Karl Rusche: „Also, die Dinge auf den Markt zu bringen war nicht die Motivation das zu tun, sondern wir wollten uns dem Problem stellen, die Bilder gemeinsam zusammen zu bringen. Wir begleiten uns, wie Gero schon gesagt hat, eine ganze Weile, aber die Bilder waren in so einer Dimension natürlich noch nicht zusammen. Wir wollten diese Probleme haben, die entstehen, wenn man die Bilder zusammen bringt, und wir wollten sie natürlich lösen. Und ich glaube, dass man das sagen kann, dass wir sie gelöst haben.“
Motivisch kreist die Ausstellung, mit mehr als 100 Werken der Malerei, um Stillleben und Naturausblicke, Akte und Landschaften. Gero Troike malt die Erholung von der nimmersatten Großstadt, die balsamische Stille, die beispielsweise das Zusammentreffen von vier Gegenständen auf einem Tisch, eines Würfels, eines Balls und zweier unterschiedlich dicker Glasflaschen, konfiguriert.
Bei Troike beginnt die Weltbetrachtung in einem 16x22 cm kleinen Format für eine Schüssel mit Pflaumenessig und greift aus in die Umwelt zum Beispiel einen Erlenbruchwald, gemalt in milchigem Oliv auf 5 qm Größe, eine Apotheose aufKrieg und Frieden wachsenden und absterbenden Holzes.
Troike malt Bilder, die vor Kälte schützen und garantiert bei Zahnweh helfen. Ein Bild von Troike in der Wohnung, etwa „Milchkrug und Glas“, wärmt und bindet den irrlichternden Blick.
Karl Rusches Bilder dagegen glimmen. Es ist dieses veränderliche Leuchten bei Lichteinfall, das aus der Mattheit reinen, dick aufgetragenen Pigments resultiert und innere Bilder gewinnt. Wie bei einer Intarsienarbeit bettet Rusche seine Bildgegenstände in die Pigmente, relativ kleine poetische Einsprengsel, zum Teil überzogen von Schelllack oder Dammar, was nicht nur als spannungsvolle Balance zwischen Oberfläche und Bildhintergrund, sondern auch als aufgebrochene Wunde in Erscheinung tritt.
Adorno behauptet, dass nur das der Moderne angemessen sei, was die Male der Zerrüttung in sich trägt. In den Werken von Rusche und Troike freilich gilt die Versöhnung als maßgebliche ästhetische Kategorie. Das provoziert möglicherweise die Kritik, dass das Bild eines versöhnten Ganzen falsch ist, weil es die Antagonismen der globalisierten und terrorisierten modernen Lebenswelt überdeckt. Aber die Erfahrung von Zerrissenheit, Schmerz, Kaputtheit, die Erfahrung der Widersprüche und der tragischen Situation ist seit den Griechen konstitutiv für die gesamte europäische Kultur. Versöhnung heißt in diesem Zusammenhang nicht Verkleisterung von Widersprüchen, sondern, was die innere Arbeit betrifft, die sieben Sachen des Bewusstseins zusammen zu nehmen ohne das Schicksal der Belastungen auszublenden.
Unter diesen Vorzeichen ist auch der Dialog von Rusche und Troike zu verstehen. Die Künstler haben es geschafft ihre Zwiesprache intensiv in räumlichen Bildverbindungen zu verschränken, so dass sie nicht eine Minute lang, nicht einen Quadratmeter breit in Disparitäten auseinander fällt.
Kerzen, Rotwein, alte Holzstühle, alles in Benutz, untermalen die Lebendigkeit des Werkraumes auf eine altertümliche, bohèmistische Weise.
Darum ergießt Karl Rusches Bild „Göttliche Perspektive“, als Auftakt und Schlusspunkt der Ausstellung gehängt, sein Yves-Klein-Blau in die Ausstellung wie ein Blumenfeld der Hoffnung und wie der von höherer Stelle beglaubigte Beweis eines geglückten Aufeinander-Zugehens zweier Ausnahmefiguren der Malerei in einem kostbaren Zeitintervall von 10 Tagen.
Christoph Tannert